The Ones Below: Spannungsaufbau ohne Geheimnis?

The Ones Below © 2016 Cuba – TigerLily – BBC

Kann man den neuen Besitzern der Erdgeschosswohnung trauen? Was führen sie im Schilde? Ist das Baby sicher? Werden die Eltern die Gefahr erkennen? Fragen, aus denen ein spannender Film entstehen kann, sofern die Antwort ein Geheimnis ist. Eine Rezension von „The Ones Below“ für Autoren am Scheideweg.

Soll ich jetzt gleich die Spoiler-Warnung einsetzen? Oder erst im nächsten Abschnitt? Lohnt es sich überhaupt? Wisst Ihr was? Ich glaube, ein Spoiler schadet diesem Film nicht. Aber ich überlasse Euch selbst die Entscheidung. Daher:

Dieser Text ist ein Spoiler.

Wer Horrorfilme kennt, weiß ja eigentlich immer, wie die obigen Fragen zu „The Ones Below“ (UK, 2015) zu beantworten sind:

  • Kann man den neuen Nachbarn trauen? Nein.
  • Was führen sie im Schilde? Nichts Gutes.
  • Ist das Baby sicher? Natürlich nicht.

Bleibt also vielleicht noch:

  • Wittern die Eltern die Gefahr früh genug?

Na ja, und halt:

  • Wie genau gestaltet sich die Bedrohung?
  • Wie schlägt das Böse zu?

Aus erzählerischer und natürlich anschließend auch aus Leser- und Zuschauersicht stellt sich die Frage, ob es einem Buch oder Film schadet, wenn wir die Antworten auf diese Fragen schon kennen. Muss eine Geschichte ein Geheimnis aufwerfen? Darf das Geheimnis durchschaubar sein?

Die Antworten abseits von „The Ones Below“

Viele Fragen also. Die Antwort auf die erzählstrategischen davon kann letztlich in einem einfachen Satz zusammengefasst werden, aus welchem sich die Möglichkeit gibt, ihm stumpf zu folgen oder den gefährlichen Ritt auf Messers Schneide zu wagen:

Mach kein Geheimnis aus etwas, das kein Geheimnis ist. Wenn ein Erzähler versucht, Spannung für den Leser oder Zuschauer zu erzeugen, indem er ihn über einen bestimmten Sachverhalt im Unklaren lässt, sollte dieser Sachverhalt auch tatsächlich geheim und nicht vorhersehbar sein. Was ist langweiliger als ein Whodunnit, bei welchem man sofort weiß, wer der Täter ist? Was ist langweiliger als eine Geschichte, bei welcher man sofort weiß, wie sie ausgeht?

Mach kein Geheimnis aus etwas, das kein Geheimnis ist, bedeutet nicht, dass jede Geschichte ein Geheimnis erfordern würde. Sehr viele Geschichten verraten schon zu Anfang, wie sie enden. Man denke nur mal an „John Dies At The End“ (USA, 2012). Könnte das Ende einer Geschichte noch deutlicher angekündigt werden? Ein Geheimnis benötigt eine Geschichte somit natürlich nicht. Ihr Reiz könnte dann immer noch in den Charakteren, im Handlungsverlauf und in der Atmosphäre bestehen.

Mach kein Geheimnis aus etwas, das kein Geheimnis ist, bedeutet also schlicht: Verschleiere richtig oder lass es sein.

Die Antworten bei „The Ones Below“

Die ersten Publikumsreaktionen nach „The Ones Below“ lauteten auf dem Fantasy Filmfest häufig, dass der Film zu vorhersehbar sei. Es ist völlig richtig, dass er vorhersehbar ist. Im Grunde genommen kann man von den drei von mir oben mit Spiegelpunkten aufgezählten unbeantworteten Fragen die erste – Wittern die Eltern die Gefahr früh genug? – schon nach dem Trailer verneinen. Das Ende ist völlig ersichtlich.

Aber ist er auch zu vorhersehbar? Versucht er aus dem, was vorhersehbar ist, überhaupt ein Geheimnis zu machen? Das ist entscheidend, um zu bewerten, ob „The Ones Below“ sich erzählerisch verzockt.

Meines Erachtens versucht der Film – mit Ausnahme von einer Stelle, in welcher wir vergeblich dazu gebracht werden sollen, zwei Figuren zu verwechseln – nicht, seinen unausweichlichen Verlauf und sein so offensichtliches Ende zu verschleiern, und muss sich den Vorwurf der Vorhersehbarkeit – mit Ausnahme von eben dieser Stelle – auch nicht machen lassen. Denn eigentlich geht es Drehbuchautor und Regisseur David Farr um etwas völlig anderes.

Worum es bei „The Ones Below“ geht

Das gemeinsame Abendessen, zu welchem Kate und Justin die neuen Nachbarn Theresa und Jon aus der Wohnung im unteren Geschoss eingeladen haben, verläuft etwas wechselhaft. Zwar hat man ein gemeinsames Thema, weil beide Frauen schwanger sind, doch weiß man natürlich noch nicht genau, wie man das andere Paar einschätzen soll. Da tastet sich vielleicht mal einer zu weit vor und eine unsichtbare Linie wird überschritten. Natürlich gibt es mal einen Moment des unangenehmen Schweigens.

Sehr viel passiert zwischen den Zeilen, zwischen den Blicken, durch halbverborgene Gesten oder ein Augenflackern – und Kamera und Schnitt geben dem sehr viel Raum. Da werden innere Beweggründe offengelegt, die Gegensätzlichkeiten der Paare aufgebaut und Spannungen zwischen den Ehepartnern sichtbar. Warum beispielsweise trinkt Theresa hinter dem Rücken ihres Mannes? Hat sie Angst vor ihm?

Und dann führt genau dieses Trinken und eine am Treppenabsatz vorbeihuschende Katze dazu, dass Theresa stürzt und ihren Fötus verliert. In den folgenden Tagen kommt es zum offenen Bruch mit dem bis dahin scheinbar perfekten Nachbarspärchen, welcher in Theresas – für die Agenda der restlichen Handlung maßgeblichem – Ausruf gipfelt, Kate würde das Kind, welches in ihr wächst, gar nicht verdienen.

Es gibt, wenn man Geschichten liest oder Filme ansieht, immer wieder diese Sequenzen, in welchen Figuren etwas tun, was schief gehen muss oder wobei wir befürchten, dass sie erwischt werden oder in eine Falle tappen. In solchen Momenten rutschen wir auf unserem Sitz hin und her und winden uns, weil wir nichts tun können, weil wir der Figur nicht zurufen können: Tu es nicht! Es ist genau dieses Unwohlsein, welches der Film im folgenden zweiten Teil Lage um Lage verstärkt, während sich das Unglück vor unseren Augen abspuhlt.

Stufenlos wachsendes Unwohlsein

Nach einer Phase des Abstandes, in welcher Theresa und Jon versuchen, ihren Verlust zu akzeptieren, kommt es zur Versöhnung. Und einmal mehr sind die beiden das perfekte Paar, und Theresa ist für Kate die perfekte hilfreiche Freundin, die auch gerne einspringt, um der übermüdeten frischgebackenen Mutter das Kind gelegentlich für ein paar Stunden abzunehmen.

Wären da nur nicht die sich mehrenden Momente des Unwohlseins und das nagende Gefühl, dass etwas mit den Nachbarn nicht stimmt. Man muss zugeben, dass sich hier alles genau so entspinnt, wie man erwarten würde. Beispielsweise unterminieren offengelassenen Gas- und Wasserhähne Kates Glaubwürdigkeit für Justin. Und natürlich sind die Beweise, welche sie findet, auch verschwunden, wenn Kate sie ihrem Mann endlich triumphierend unter die Nase halten zu können glaubt.

Der Vorwurf der Vorhersehbarkeit ist also durchaus berechtigt, wenn man davon ausgeht, dass es dem Film darum ginge, eine überraschende, spannende Handlung zu erzählen. Tatsächlich geht es aber darum, die glaubwürdig gezeichnete zunehmende Unsicherheit und Verzweiflung der jungen Mutter in extrem ausgewogenen Bildern auszuspielen – untermalt mit einer hervorragend abgestimmten Musik. Es geht also um Charakter und innere Spannung, um zunehmendes Unwohlsein, nicht um äußere Handlung.

Indem „The Ones Below“ aber nicht offensichtlich verrät, auf was seine Handlung zusteuert, sondern nur bewusst in Kauf nimmt, vorhersehbar zu sein, wagt er den von mir oben erwähnten Ritt auf Messers Schneide: Er läuft Gefahr zu enttäuschen, weil er es nicht vermeidet, beim Publikum eine Erwartung aufrecht zu halten, welche er gar nicht zu erfüllen gedenkt: die Erwartung, am Ende die große Überraschung zu bieten.

Will man als Autor*in dieses Risiko also nicht eingehen, bleibt der Satz also bestehen: Macht kein Geheimnis aus etwas, was kein Geheimnis ist.

„The Ones Below“ ist also vorhersehbar, aber nicht zu vorhersehbar. Und insofern kann man sich als Zuschauer ganz dem stufenlos wachsenden Unwohlsein hingeben, auf das Unausweichliche zuzuschlittern.

Verwendetes Bild: © 2015 Cuba – TigerLily – BBC

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