#Bookstagram – oder Literatur lieber nur im Trauergewand?

#Bookstagram auf Instagram – © 2017 buttermybooks / instagram.com

Auf Buchblogs und Instagram werden Bücher zunehmend in Arrangements fotografiert, welche sie wie Moodboards illustrieren sollen. Samuel Halmen fordert auf Zeit online stattdessen: Weg mit dem Kitsch! Ein Kommentar.

Oh, Du Standesdünkel des vom Feuilleton santionierten Literaturbetriebes!

In einem Kommentar auf Zeit online fordert der Kulturjournalist Samuel Hamen vom Umgang mit Literatur mehr Gewicht auf eine ernsthafte, aufrüttelnde Auswahl, die sich auch traut, eine „Zumutung […], ein unverfrorener, gerne auch aggressiver Affront gegen die eigene oder gemeinschaftliche Gemütlichkeit“ zu sein.

Was ihn stört, ist dagegen die Präsentation von Büchern und ihren Titelseiten in Arrangements, welche den Lesegenuss in den Vordergrund rücken – beispielsweise mit einer Tasse Tee, wie sie gerade beispielsweise unter #Bookstagram auf Instagram – aber auch auf Social Media-Seiten – geläufig ist. Vor dem geistigen Auge desjenigen, der solche Bilder schon gesehen hat, wird die Teetasse schnell ergänzt durch farblich passende Deko-Objekte und Fan-Devotionalien.

Dadurch werde, so Samuel Hamen – der seinen Artikel auf Facebook mit den Worten preist „Ein wenig Gepöbel, um den Feierabend zu begehen …“ – die Literatur „bis zur Stumpfheit verhätschelt und verhunzt.“

Ist, was nicht weh tut und verstört, keine Kunst?

Ja, natürlich darf Literatur im Sinne Ciceros auch den Zweck haben, uns zu belehren (docere). Aber doch nicht nur! Was Samuel Hamen in der Zeit als Gewährsleuten seiner Vorstellung, Literatur müsse weh tun, heranzieht – Benn, Kafka, Jelinek etc. –, hat den salbungsvollen Bestattungscharme einer S2 Kultur-Sendung.

Ich liebe Benn und Kafka. Aber doch nicht nur! Und ausgerechnet deren Tollfall soll nun zum Maß für einen angemessenen Umgang mit Literatur in Buchblogs sein?

Warum? Weil Samuel Hamen Bücherarrangements mit dampfender Teetasse als Kitsch empfindet. Das muss ihm kritisiert werden! Die Frage, wie Bücher in Sozialen Medien – den kommunikativen Rahmenbedingungen bildrhetorisch angemessen – fotografisch ansprechend präsentiert werden können, stellt er sich gar nicht.

Stattdessen wird gewettert gegen das seiner Meinung nach verdächtig nach schlichter Unterhaltung (delectare) riechende Bildprogramm unter Hashtags wie #bookstagram.

Die Unterteilung in Hoch- und Unterhaltungsliteratur ist überholt

Samuel Hamens Kommentar klingt so verstaubt und vor allem einer aktuellen, lebendigen Kultur im Umfeld des Buches gegenüber so unangemessen, wie Carsten Ottes Einlassung gegen Cosplayer auf Buchmessen im SWR.

Für mich riecht das alles ein bisschen nach dem alten Dreischichtmodell der Literatur, in welchem Hochliteratur, Unterhaltungsliteratur und Trivialliteratur unterschieden wurden. Das Modell selbst – zu welchem ich bei anderer Gelegenheit noch eine erläuternde Passage aus meinen Vorträgen zur Literaturgeschichte auskoppeln werde – ist als wertend, nicht als deskriptiv einzuordnen:

  • Die Hochliteratur strebe demnach eine Auseinandersetzung mit gängigen Vorstellungen und Denkweisen an, wie Wikipedia uns belehrt.
  • Bei der Unterhaltungsliteratur handelte es sich um eine „bewußt auf Unterhaltung, Ablenkung, Zerstreuung, Lesevergnügen zielende Lit[eratur]“, die aber nicht zwingend „dichter[ische] Seinserhellung“ anstrebe, heißt es in dem gleichlautenden Lemma des „Sachwörterbuch der Literatur“ Gero von Wilperts, wo man auch Weiteres zum kritisierenden Charakter der Hochliteratur findet.
  • Und Trivialliteratur sei schließlich „ästhetisch wertlose[r] Massenlesestoff“ zur Unterhaltung, ja „Kitsch“ – so noch einmal von Wilpert im Artikel „Trivialliteratur“. Affirmativ unkritisch sei diese, ergänzt wiederum Wikipedia.

Anders ausgedrückt: Je weniger auf Kritik und je mehr auf Unterhaltung ausgerichtet ein Werk ist, desto weiter unten in der Werteskala ist es anzusiedeln.

Obschon ein solches Modell aus rhetorischer Sicht absolut nicht haltbar und aus literaturwissenschaftlicher längst überholt ist, findet sich darin genau diejenige Wertung wieder, die auch Samuel Hamen verbreitet: Literatur müsse „aggressiver Affront“ sein, „der falsches oder sinnwidriges Denken […]sprengt“ – auf keinen Fall aber „Schongang“, sonst drohe die „Wirkung von Kitsch“.

Wenn nichts mehr hilft kommt die Geschlechterkeule

Wenn Samuel Hamen also kritisiert:

Es ist ein fügsamer Umgang mit literarischen Werken, hinter dem eine weich gespülte Vorstellung davon steckt, zu was Literatur taugen kann.

dann übersieht er, dass er selbst seine Argumentation nicht minder darauf stützt, was Literatur sein könne. Er wählt dafür jedoch eine anachronistische, elitäre Vorstellung, die völlig den Bedürfnissen sowohl des Großteils derjenigen entgegensteht, die heute den Buchmarkt noch über Wasser halten, als auch des Großteils derjenigen, welche diese Buchblogs machen.

In diesem Kontext kann ich leider auch nicht umhin, den unglücklichen Gegensatz herauszustellen, welchen Samuel Hamen – möglicherweise sich auf ein konkretes Bild beziehend – angesichts der von ihm kritisierten Ästhetik im Umgang mit Büchern verwendet. Was ihm sauer aufstößt, sind:

Montagen von einer verträumt-betrübt schauenden Frau, die von einer männlichen Wand aus Wörtern umarmt wird.

Es liegen keine genauen Daten darüber vor, wie die Geschlechterverteilung unter Buchblogger im Netz oder insbesondere in den Sozialen Medien aussieht. Wenn ich nach den statistischen Daten zu meiner überwiegend auf Bücher ausgerichteten Follower-schaft auf Instragram und Twitter ausgehe, sind Frauen erheblich in der Überzahl:

  • Bei Twitter sind 62 % meiner Follower weiblich, 78 % interessieren sich für Bücher und jeweils 66 % für Romantik und Mystery. 58 % sind Schriftsteller.
  • Bei Instagram sind 69 % meiner Follower weiblich. Genauere Informationen über ihre Interessen liegen nicht vor, aber auch dort habe ich überwiegend Kontakte zur Literaturbranche.
  • Bei Facebook ist der Anteil meiner männlichen Follower mit 54 % höher, allerdings ist sind in denjenigen Gruppen, deren Mitglied ich bin, mehr Frauen aktive Mitglieder.

Ich möchte mich nicht dazu versteigen, geschlechterästhetische Thesen zu formulieren – sie sind unbegründet und daher ungeeignet, Bilder von „verträumt-betrübt schauenden Frau[en]“ zu bewerten. Was soll uns andererseits die „männliche Wand aus Wörtern“ sagen?

Zum guten Schluss: Auf #bookstagram!

Ach, sei’s drum. Zurück zu den #bookstagram-Bildern, die wie folgt beschrieben werden:

Neuerscheinungen werden für das Fotoshooting mal neben dampfende Teetassen drapiert, mal vor das Avocado-Pflänzchen gelegt, dessen zurechtgedüngtes Grün das Cover hübsch ergänzt.

Zu erklären, was seiner Meinung nach letztlich eine angemessene Präsentation von Büchern wäre, bleibt Samuel Hamen schließlich schuldig. Stattdessen erfreut er sich an einer elitären Häme, die ihrerseits vielleicht Unterhaltungswert besitzt, aber in keiner Art und Weise zur Auseinandersetzung mit dem beschriebenen Internet-Phänomen geeignet ist und überdies sowohl die medialen Bedingungen als auch die Interessen des entsprechenden Publikums ignoriert.

Besagtem Publikum und den kritisierten Buchbloggern kann ich darum nur zurufen: Macht Ihr mal weiter und entwickelt das weiter, denn was Ihr schon entwickelt habt, haben Eure Kritiker doch noch nicht einmal angefangen zu verstehen.

Verwendetes Bild: © 2017 buttermybooks / instagram.com.

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